Jessica Agoras - PermServ & Andri Bodmer - The Dolder Grand diskutieren über Illusionen und Realitäten in der Hotellerie und Gastronomie
Nicht zu wenig Interesse, sondern das Halten der Mitarbeitenden im Unternehmen sei das Problem, meint Andri Bodmer, Director of Human Resources im Dolder. Ich habe mich mit ihm über die «Lage der Nation» in der Hotellerie und Gastronomie unterhalten.
Im letzten Jahr habe ich hier auf unseren PermServ-Stories von meiner Suche nach dem «perfekten Match» gesprochen und auch in meinen Erinnerungen über meine Zeit in der Hotellerie geschwelgt. Ich habe von den wertvollen Lerneffekten, die man in dieser Branche macht, geschwärmt. Von der Verantwortung, die man schon früh übernimmt. Davon, wie man fast wie im Zeitraffer Fähigkeiten entwickelt, die für alle weiteren beruflichen Schritte Gold wert sind.
Umso mehr schmerzen mich die Schlagzeilen, die immer wieder von den Nachwuchssorgen in meiner früheren Branche berichten. «Werdet auf keinen Fall Koch!» titelte etwa 20 Minuten. Sowas zu lesen, ist nicht schön. Und kürzlich las ich gar in der Hotellerie Gastronomie Zeitung davon, dass Roboter auch hier viele Berufe gefährden würden. Das Viergangmenu mit passenden Weinen, serviert von einem seelenlosen «Plastikmenschen»? Mir graut davor und ich will auch nicht daran glauben, dass Menschen so etwas wirklich wollen.
Höchste Zeit also, mich wieder einmal mit jemandem auszutauschen, der etwas vom Geschäft versteht. Andri Bodmer ist Director of Human Resources an meiner früheren Wirkungsstätte im The Dolder Grand. Dort, für mich (und viele andere) eines der schönsten Hotels der Schweiz, trafen wir uns in der Library zu einem Kaffee.
Hotellerie und Gastronomie ist attraktiv
Andri Bodmer sieht die Situation zum Glück nicht so schwarz wie viele der Zeitungskommentatoren und selbsternannten Fachleute. Auch er ist nach wie vor fasziniert von der Branche und den Möglichkeiten, die diese talentierten Berufsleuten bietet. «Der Fachkräftemangel ist in meinen Augen eine Illusion», sagt Bodmer mit seiner ruhigen, klaren Art. «Klar gibt es demografisch bedingt weniger Fachkräfte. Unsere Branche ist weiterhin attraktiv. Wir haben selten Probleme, unsere Lehrstellen zu besetzen. Die Herausforderung ist eine andere: Wir haben in unserer Branche Mühe, die Talente zu halten. Und die Guten, die bleiben, greifen dann rasch nach der Karriereleiter und wollen eine Führungsposition übernehmen. Das ist auch gut so, aber so fehlt in der Breite das Personal.»
Ich glaube auch, dass die Branche mit all seinen positiven Facetten interessant ist. In meinem Alltag komme ich täglich in Kontakt mit Menschen, die auch anderswo Erfolg haben könnten, aber von der Lebendigkeit der Branche fasziniert sind und in ihrem Beruf richtiggehend aufblühen. Diese Leidenschaft gerade bei jungen Berufsleuten zu wecken, das scheint mir zentral. Darum gefällt mir die «Please disturb» Initiative von Hotelleriesuisse so gut. Am Tag der offenen Hoteltüren können junge Menschen und ihre Eltern hinter die Hotelkulissen schauen und die Berufe kennenlernen. Auch das Dolder macht mit. Welche Erfahrungen macht Andri Bodmer damit? «Gute bis sehr gute Erfahrungen. Wir haben jetzt drei Mal mitgemacht und jeweils gegen 500 junge Menschen unsere vielfältige und spannende Berufswelt gezeigt. Dieser Tag wird bei uns von den Lernenden selber gestaltet, was natürlich hilft, Hemmschwellen abzubauen. Aus meiner Sicht ist das eine Supersache und es hilft, in kürzester Zeit viele Informationen zu vermitteln, Kontakte zu knüpfen und auch das eine oder andere Vorurteil zu korrigieren.»
Fachkarrieren fördern
Am Interesse des Nachwuchses liegt es also nicht. Mich beschäftigt, was Andri Bodmer eingangs erwähnt hat: Die Herausforderung, gute Fachkräfte im Beruf oder doch zumindest in der Branche zu halten. Ich selber habe durch meine heutige Tätigkeit eine optimale Kombination erreicht und habe jetzt «den Fünfer und das Weggli»: Ich biete, was ich total gerne mag: Menschen und Unternehmungen zusammenbringen und immer den perfekten Match im Fokus zu haben. Weil ich das spezialisiert für die Gastronomie und Hotellerie tue, bin ich weiterhin in der Branche tätig, unterstütze diese und bringe sie mit unserer Dienstleistung weiter.
Andri Bodmer sieht zwei Faktoren, die bei der Problemlösung helfen können und immer wichtiger werden. «Den Berufsbildern unserer Branche fehlt es noch immer an der so wichtigen Wertschätzung. Das Prestige dieser anspruchsvollen Berufe, die Anerkennung, entspricht nicht dem, was angemessen ist. Und es fehlen Fachkaderkarrieren für Talente, die nicht unbedingt die Führungslaufbahn einschlagen wollen. Mich fasziniert, wie das IBM in den 1970-er Jahren gemacht hat. Das Unternehmen hat einen Paradigmenwechsel herbeigeführt, indem sie die klassische, hierarchische Karriere als einzig möglichen Karrierepfad um viele Fachkarrieren und somit neue berufliche Optionen ergänzt hat.»
«Die Arbeitszeiten müssen flexibler werden»
Aus eigner Erfahrung und den vielen Gesprächen mit den Talenten, die ich vermittle, ahne ich bereits, welchen zweiten Punkt Andri Bodmer als Schlüssel für die Arbeitsplatzattraktivität ansprechen wird: Die Arbeitszeiten. Diese sind in der Hotellerie und Gastronomie halt schon speziell. Für viele Mitarbeitenden heisst das konkret: Speziell lang, speziell unregelmässig und speziell schlecht zu vereinbaren mit Familie und privaten Aktivitäten.
Arbeiten am Wochenende und am Abend oder die Zimmerstunde verleiten zum Beispiel viele Köche und Restaurantfachleute, von Hotels oder Restaurants in die Gemeinschaftsgastronomie zu wechseln. Die Arbeitswelt spricht von der Flexibilisierung der Arbeitszeit, von Home-Office, gleitenden Arbeitszeiten und propagiert Teilzeit. Manchmal habe ich den Eindruck, die Firmen überbieten sich mit Angeboten rund um Arbeitszeiten, die sich ganz nach den Bedürfnissen der Mitarbeitenden ausrichten. Da steht die Gastronomie vor einer grossen Herausforderung, welche ein hohes Mass an Kreativität und Innovation fordert.
«Stimmt», sagt Andri Bodmer, «die Arbeitszeiten in unserer Branche sind ein stetiges Thema. Wobei so ganz schwarzweiss würde ich das nicht sehen. Es gibt sehr wohl auch Mitarbeitende, denen die speziellen Arbeitszeiten auch entgegenkommen. Unser Sternekoch Heiko Nieder etwa schätzt die Zimmerstunde, um Zeit mit seinen kleinen Kindern zu verbringen. Aber es lässt sich nicht wegdiskutieren, die Arbeitszeiten sind ein Nachteil unserer Branche. Wir müssen hier einfach auch versuchen, flexibler zu werden. Wir sollten den Mitarbeitenden noch besser helfen, ihre Work-Life Balance zu finden. Da sind wir nicht so weit wie andere. Einfach zu sagen, es geht nicht anders, hilft uns nicht weiter. Wir müssen bei der Dienstplangestaltung die Muster brechen, mehr Teilzeit anbieten, bei der Zimmerstunde flexibler werden. Und wir sollten stärker auch auf Aushilfen im Stundenlohn setzen, um Spitzen zu brechen.»
Aushilfen, im Dolder? Ist so etwas denn denkbar?
Für Andri Bodmer sind Aushilfen ohne Berufsabschluss und ein Fünfsternehaus kein Widerspruch. «Da müssten wir zuerst einmal fast schon philosophisch überlegen, was denn eine Fachkraft ist. Jemand, der ein Diplom hat? Oder vielleicht ein Mensch, der ein Top-Gastgeber ist? Ich glaube, es braucht mit Ausnahme der Küche nicht unbedingt Fachangestellte. Denn das Fachwissen, das nötig ist, um für den Gast ein richtig guter Gastgeber zu sein, kann ich zum Beispiel auch Studenten beibringen, die während ein paar Jahren ihr Studium finanzieren wollen. Wichtig sind Kompetenzen wie Empathie, Kommunikationstalent, Freude und Geschick im Umgang mit Menschen und auch Allgemeinbildung. Den Rest können wir punktuell beibringen. Diese Möglichkeiten nutzen wir noch zu wenig.»
Personalvermittler entsprechen dem Zeitgeist
Am Schluss spreche ich Andri Bodmer noch auf den Stellenwert der Personalvermittlung an. Ich erlebe, dass wir von Stellensuchenden nicht nur deshalb in Anspruch genommen werden, weil wir durch unsere tägliche Arbeit nah am Markt sind, sondern auch, weil man sich so diskreter nach einem neuen Job umschauen und den Markt sondieren kann und natürlich auch, weil man nicht mitten in der Nacht, wenn der Arbeitstag zu Ende ist noch Bewerbungen schreiben möchte.
Für meinen Gesprächspartner nachvollziehbar, weil er immer mal wieder von Kollegen um eine nicht autorisierte Auskunft gebeten wird. «So etwas geht natürlich nicht, ich will aber auf etwas Anderes hinaus», sagt Bodmer. «Ich glaube ganz einfach, dass die Stellensuche über Personaldienstleister auch dem Zeitgeist entspricht. Was früher höheren Kaderpositionen vorbehalten war, steht jetzt allen offen. Für sich einen Job suchen zu lassen, hat eine Prestigekomponente drin, auf jeden Fall aber ist es bequem und bietet einen echten Mehrwert. Mancher Stellensuchende fragt sich, warum er oder sie Zeit für das Suchen nach Möglichkeiten investieren soll, wo das doch andere tun, und das erst noch kostenlos?! Ausserdem gibt es mittlerweile eine wahre Flut an Möglichkeiten, einen Job zu suchen. Unzählige Plattformen, dann auch noch die sozialen Medien. Ganz schön unübersichtlich. Ich glaube, Personalvermittler sind für viele Jobsuchende ein Faktor in ihrer Work-Life Balance, denn sie entsprechen dem Zeitgeist.»
Für Bodmer sind gegenseitiges Vertrauen, sehr gute Kenntnisse der entsprechenden Berufe und ein Gespür für das Unternehmen bei der Wahl eines Personaldienstleisters wichtig. Und er denkt, dass spezialisierte Nischenanbieter im Vorteil sind: «Wenn ich für eine Anstellung zahlen muss, dann möchte ich auch einen Gegenwert in Form einer Zeitersparnis. Ich will dann nicht einem Dienstleister lange unser Business erklären. Ich möchte eine Ansprechpartnerin wie Sie, die weiss, wie ein Hotel funktioniert, die die Hintergründe kennt, zwischen den Zeilen lesen kann, mit der ich mich fachlich offen und auf Augenhöhe austauschen kann. Das alles spricht aus meiner Sicht für Nischenanbieter, die spezialisiert sind.»
Für mich natürlich der perfekte Schlusssatz.
Ich danke Andri Bodmer ganz herzlich für das Gespräch und seine Gedanken. Kleiner Tipp am Schluss für Sie: Geniessen Sie doch einmal einen Sommerabend auf der Panorama-Sonnenterrasse des Restaurants Saltz hoch über der Stadt. Einmalig!